Hier wird Catulls "Carmen 92" zur Verfügung gestellt.
Lesbia mi dicit semper male nec tacet umquam
de me: Lesbia me
dispeream nisi amat.
Quo signo ?
Quia sunt totidem mea:
Deprecor
assidue,
verum dispeream, nisi amo.
Lesbia redet immer schlecht über mich und schweigt niemals von mir.
Ich will sterben, wenn sie mich nicht liebt.
Und der Beweis? Es ist genau wie bei mir: Ich verfluche sie stets,
doch möchte ich tot umfallen, wenn ich sie nicht mehr liebe.
Versmaß: Elegisches Distichon
Stilmittel: Z. 1,2 Anapher (Lesbia mi...,Lesbia me...)
Z. 2,4 Iteratio (dispeream nisi)
Z. 3 Alliteration, parallel gereiht (Quo signo?, Quia sunt...)
Z. 3 Rhetorische Frage (Quo signo?)
Die innere Unsicherheit des Dichters im Verhältnis zu Lesbia tritt und auch in c.92 entgegen.
Lesbia redet immer schlecht von ihrem Catull; sie schweigt nie über ihn.
Daraus zieht der Dichter den vordergründig paradoxen Schluss, dass sie ihn dennoch liebt:
"Ich will sterben, wenn Sie mich nicht noch liebt!"
Er unterstellt Lesbia, dass, wenn sie vom Geliebten ständig redet, selbst wenn es schlecht ist, sie innerlich nicht von ihm loskommt;
dass das Gefühl der Verbundenheit so tief sitzt, dass es sich ständig in Worten entlädt.
Catull lässt einen fiktiven Teilhaber an diesem Gedankenspiel, einen "imaginären Frager" fragen,
welches Zeichen er für die Richtigkeit seiner Annahme habe.
Antwort: Weil bei ihm ebenso viele Anzeichen ähnlichen Verhaltens gegeben seien;
er verwünscht sie ständig: "Doch möchte ich tot umfallen, wenn ich sie nicht mehr liebe."